Samstag, 24. Januar 2009
 
Vielversprechendes Kabinett in Nicaragua PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Ralf Leonhard   
Dienstag, 12. Dezember 2006

Altgediente Sandinisten und liberale Technokraten dominieren im künftigen Kabinett von Daniel Ortega, der am 5. November die Wahlen gewann und am 10. Jänner angelobt wird. Es werden deutliche Signale Richtung Aufwertung des Sozialbereichs und der bäuerlichen Landwirtschaft gesetzt.


In Nicaragua wird sich im kommenden Jahr einiges verändern. Am 10. Jänner 2007 wird Daniel Ortega als Präsident vereidigt. Das heißt zwar nicht, dass die Uhr um 17 Jahre zurückgedreht wird, wie die Rechte im Wahlkampf nervös warnte, doch sind deutliche Akzentverschiebungen zu erwarten. Eine sandinistisch geführte Regierung kann schwerlich den strikt neoliberalen Wirtschaftskurs weiter verfolgen. Erste Namenslisten, die in den lokalen Medien zirkulieren, lassen ein pluralistisch zusammengesetztes Kabinett erwarten, in dem neben alten Gefolgsleuten Ortegas ausgewiesene Experten aus fast allen politischen Lagern vertreten sind.

Mit Carlos Argüello Gómez ist jener Anwalt als Außenminister vorgesehen, der in den 1980er Jahren vor dem Internationalen Gerichthof in Den Haag die Klage Nicaraguas gegen die USA vertrat und Schadenersatz in der Höhe von 17 Milliarden Dollar erstritt. Da die USA die Zuständigkeit des Gerichthofes nie anerkannten und Violeta Chamorro später auf die Ansprüche verzichtete, kam Nicaragua allerdings nie in den Genuß dieses Geldsegens. Argüello, der derzeit als Botschafter in den Niederlanden fungiert, betreibt derzeit weitere Klagen gegen territoriale Ansprüche von Honduras, Costa Rica und Kolumbien. Als Vizeminister soll ihm Hernán Estrada zur Seite stehen, ein Mann der vielen aus der Solidaritätsszene als Spin Doctor des Sandinismus bekannt ist. Er leitete das Sekretariat für Internationale Angelegenheiten der FSLN.
Der Politikwissenschaftler Paul Oquist, längst eingebürgerter US-Amerikaner, wird als Präsidentschaftsminister die Rolle des Kabinettschefs spielen. Er leitet schon 1990 das Übergangskabinett. Als Experte des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) ist er international bekannt und geschätzt.
Im Sozialkabinett dominieren Persönlichkeiten mit sandinistischer Vergangenheit, die bisher in der zweiten Reihe standen. Gesundheitsministerin wird voraussichtlich die Gynäkologin Maritza Quant, die bis 1990 das Frauenspital Bertha Calderón in Managua leitete und derzeit dem Proyecto Salud Integral de la Mujer (PROSIM) vorsteht. Sie pflegt beste Beziehungen zur deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Man darf gespannt sein, ob sie sich in der Frage der medizinisch indizierten Abtreibung durchsetzen und die jüngst beschlossene Kriminalisierung wieder rückgängig machen kann.
Auch im Bildungsbereich werden Signale gesetzt. Miguel de Castilla Urbina, der als Minister vorgesehen ist, war in der sandinistischen Zeit schon Vizeminister und hat sich als energischer Gegner der mit den Anpassungspaketen verordneten Einschnitten in das Erziehungsbudget profiliert. Milena Núñez Téllez, eine Mitbegründerin der Lehrergewerkschaft ANDEN und ehemalige FSLN-Abgeordnete soll Vizeministerin werden.
Jeannette Chávez hat sich über den Konsumentenschutz für das Arbeitsministerium qualifiziert. Die Juristin und Universitätsprofessorin hat aber auch eine Vergangenheit als Guerillera und Offizier im Innenministerium.
Nach dem brasilianischen Vorbild wird ein Programm Null Hunger geschaffen, das die bisher vernachlässigten Ziele der Nahrungssicherheit angehen soll. Als Direktor im Ministerrang wurde der wohl am besten geeignete Mann gewonnen: der Soziologe Orlando Núñez Soto, der vor 25 Jahren das Agrarreforminstitut Centro de Investigaciones y Estudios de la Reforma Agraria (CIERA) leitete und jetzt im Think Tank der Landarbeitergewerkschaft, dem Centro para la Promoción, la Investigación y el Desarrollo Social y Rural (CIPRES), Alternativen zur rein exportorientierten Landwirtschaft entwirft.
Auch als Landwirtschaftsminister ist kein Unbekannter vorgesehen: Ariel Bucardo ist langjähriges Vorstandsmitglied der Kleinbauernvereinigung UNAG.
Das Verteidigungsministerium bekommt wieder eine sandinistische Führung. Oberstleutnant im Ruhestand Marisol Castillo ist derzeit Ortegas Vertrauensperson im Obersten Wahlrat.
Über die Besetzung des Innenministeriums zirkulieren erst Gerüchte: Ana Julia Guido, die letztes Jahr vergebens den Posten der Polizeichefin anstrebte, soll gute Karten haben.
Das Wirtschaftskabinett wird aller Voraussicht nach mit Technokraten und Liberalen besetzt sein.
Mario Arana hat gute Chancen, als Zentralbankchef bestätigt zu werden. Der parteilose Ökonom kommt aus dem Stall der Think Tanks der Jesuiten, die unter Arnoldo Alemán und Enrique Bolaños an Einfluß verloren. Auch der liberale Finanzminister Mario Flores soll seinen Posten behalten dürfen: ein Signal an die internationale Finanz.
Noch unklar ist, welche Rolle künftig Vizepräsident Jaime Morales Carazo spielen wird. Der Unternehmer und ehemalige Contra-Sprecher in den USA wurde wegen seiner Beziehungen zu den Banken in Ortegas Team geholt und symbolisiert die Versöhnungspolitik.
Auch die wichtigen Botschafterposten in Washington, Costa Rica, den Vereinten Nationen und der Organisation Amerikanischer Staaten sind noch nicht vergeben. Der einzige diplomatische Posten, der schon fix besetzt sein soll, ist die Botschaft in Lima. Die hat sich der 75jährige Tomás Borge gesichert. Der Mitbegründer der FSLN und ehemalige Innenminister will dort, wo seine Frau und seine beiden jüngsten Kinder leben, sein politisches Altenteil genießen.



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